Turboentzug und die Folgen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden (BGH, Az.: 1 StR 238/07), dass ein Arzt, wenn er bei einem drogenabhängigen Patienten einen ambulanten Turboentzug durchführt, den Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB erfüllt, wenn er den Patienten willentlich unter Narkose setzt und ihm den Körper erheblich belastende Medikamente verabreicht, ohne dass eine Einwilligung des Patienten wirksam erteilt worden ist.
Die Patienteneinwilligung für den Turboentzug ist dann unwirksam, wenn die Aufklärung des Arztes mangelhaft gewesen ist, weil er der Wahrheit zuwider erklärt hat, alle bei ihm durchgeführten narkosegestützten Entgiftungen seien bislang komplikationslos verlaufen, obwohl es früher einen Todesfall gegeben hat, weil er den Irrtum erregt hat, es sei durchgängig eine Nachtschwester zur Überwachung anwesend, und weil er nicht darüber aufgeklärt hat, dass er den Turboentzug nicht nach den gängigen Kriterien derjenigen durchführt, die diese Außenseitermethode betreiben.
Eine wirksame Einwilligung für den Turboentzug setzt weiter voraus, dass sie mit vollem Verständnis der Sachlage erteilt worden ist, und der Einwilligende namentlich eine zutreffende Vorstellung vom voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden Angriffs hatte. Die Einwilligungsfähigkeit beurteilt sich nicht nach bestimmten Altersgrenzen oder nach den Regeln, die für die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit gelten, sondern nach der tatsächlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Dabei kommt es bei einem Minderjährigen auf den individuellen Reifegrad an. Trotz Einwilligung kann die Körperverletzung rechtswidrig sein, wenn die Einwilligung gegen § 228 StGB verstößt und daher unwirksam ist. Voraussetzung ist, dass die Tat (nicht die Einwilligung) gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und daher sittenwidrig ist. Indizien sind die Beweggründe und Ziele der Beteiligten sowie Mittel und Art der Verletzung (BayObLG Az.: 5 St RR 153/98). Des Weiteren kann die Körperverletzung über die Grundsätze der mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt sein. Im Hinblick auf den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist der Inhalt des mutmaßlichen Willens in erster Linie aus den persönlichen Umständen des Betroffenen, aus seinen individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln. Objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung der Maßnahme als gemeinhin vernünftig und normal sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, weisen keine eigenständige Bedeutung auf, sondern dienen lediglich der Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens. Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Patient anders entschieden hätte, wird allerdings davon auszugehen sein, dass sein hypothetischer Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird. Eine mutmaßliche Einwilligung im Hinblick auf eine Operationserweiterung kann über die Grundsätze der mutmaßlichen Einwilligung nur angenommen werden, wenn ohne einen – sofort oder später – erfolgten Eingriff eine erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit des Patienten besteht.